Nachruf für Habakuk / Hans-Ueli Bruhin – † 11. März 2020
Als Habakuk mit seinem bemalten Hanomag und zwei jungen Begleitern bei uns vorfuhr und uns Tischrollenspielern von seinen Liverollenspielen erzählte, da war das eigentlich eine unscheinbare Begegnung. Tatsächlich öffnete er uns Jugendlichen aber eine neue Welt. Er war ein Erwachsener, der sich auf uns einliess und mit uns eine orientalisch angehauchte Fantasie-Welt bespielen wollte. Dutzende von Tikon-Spielen folgten: in Burgruinen, Pfadfinderheimen und Jugendherbergen in der halben Schweiz und manchmal darüber hinaus. Wir erlebten herrlich absurde Abenteuer, verwickelten uns in irrwitzige Ränkespiele und inszenierten uns in psychologisch anspruchsvollen Figuren. Habakuk genoss seine Rolle als Ideengeber und Moderator des kreativen Prozesses - und als Organisator, Einladungsverteiler, Informationsdrehscheibe, Telefonkorrespondent, Oberrequisiteur, Bühnenbildner, Lagerist, Roadie, Chauffeur, Teilzeitkoch, Chronist und Archivar der Bewegung.
Im Keller seiner Schreibstube bastelten wir Gummischwerter, gossen tikonische Münzen und bastelten allerlei originelle Fundusgegenstände. Dazwischen sassen wir abwechslungsweise in der engen Schreibstube und besprachen die nächsten Spielpläne mit ihm. Oder er erklärte uns das letzte Spiel nochmals - es kam ja durchaus vor, dass niemand ausser ihm die Doppelbödigkeit seiner Szenarien so richtig verstand. Dazu nahm er sich ein Alhambra Cigarillo aus seiner flachen Dose, die mit Schimmelpfennig angeschrieben war, was mich zeitlebens irritierte. Also auf jeden Fall füllte er die Schreibstube mit Rauch, lachte mit uns über die nächsten Pläne und gab uns allen das Gefühl, eine Schlüsselfigur in seinem Tikon-Reich zu sein.
Bei allem hatte Habakuk sprachlich und gestalterisch einen hohen ästhetischen Anspruch, den er nicht zuletzt mit der Hilfe von Abreibebuchstaben einlöste. Er vermochte es wirklich, wunderbare Texte zu schreiben. Er zog eine feine Linie zu all den Sachen, die er Fantasy-Trash nannte und schaffte es irgendwie, seinen Spielen ein eigenes Gepräge zu geben. Als er 1992 als Histoguil A.B.C van Dannen auf dem ersten grösseren Deutschen Liverollenspiel Draccon 1 mit dabei war, da war er bereits ein Veteran mit über einem Dutzend eigener Spiele seit 1987, der versiert über die Welt einst, mittlerweile und heute referieren konnte. Als Deutschland dazu überging, das Liverollenspiel mit verschiedenen Regelwerken in ein Korsett zu zwängen, widersetzte Meister Habakuk sich diesem Ansinnen mit dem emanzipatorischen Credo, dass jeder und jede genau das spielen darf, was er oder sie eben darstellen kann. Das war ein virulenter Diskurs, und ich glaube er war darin eine wichtige Stimme mit einer eigenen Gefolgschaft, uns Tikoniern eben: Nur Magier mit Masern haben Punkte!
Wir zählten uns zu den Tikoniern und wurden von deutschen Gästen für unsere Spielweise bewundert. Die Semesterferien an der Uni verbrachte ich zu einem guten Teil im Hanomag, mit dem wir von einem deutschen Live-Rollenspiel zum nächsten fuhren. Wenn Habakuk im Schnoggeloch, in Heligonia, in Hornstein, Dysterthor oder wo auch immer mit seinem Dragon-Wagon vorfuhr, so war das ein Ereignis. Bisweilen trafen wir dort Fred Schwohl - so etwas wie Habakuks deutsches Pendant. Dann wurde es doppelt heiter, denn die beiden ergaben ein herrliches Duo.
Ich glaube, ich wurde zu einem guten Teil im Hanomag erwachsen; in stundenlangen Gesprächen auf der Autobahn und mit all den Erlebnissen, die mich prägten.
Ueli Bruhin, oder eben Habakuk, kam aus der Pfadfinderbewegung, von der er auch seinen Namen hatte. Er rieb sich an den Regeln und Konventionen der Pfader und verlor irgendwann seinen Platz darin. Er mischte am frühen Openair Sankt Gallen mit und hatte einen Hang für spektakuläre Inszenierungen. Daneben war ihm eine Abneigung gegen starre Regeln eigen. Das liess ihn mit seinem Lehrerberuf hadern. Also hörte er einfach auf zu arbeiten und widmete sich fortan dem Liverollenspiel. Wie das finanziell lief, war uns allen etwas schleierhaft, aber er lebte sehr bescheiden und war ein liebevoller Rappenspalter. Ja, er war sich nicht zu schade, 15-Rappen-Briefmarken zu fälschen und bisweilen flog er damit auf. Aber das Bemerkenswerte an der Schweiz ist ja, dass die Post seine Briefe trotzdem beförderte. Im Grund genommen hat die Schweiz für so authentische Eigenbrötler wie ihn eine besondere Sympathie. Denn insgeheim gehört unser Herz Anarchisten, wie Habakuk einer war.
Er klinkte sich komplett aus den gesellschaftlichen Zwängen aus und folgte seinem eigenen Rhythmus. Man konnte zuweilen an ihm verzweifeln, aber er war irgendwie auch eine subversive Oase im Gehetz des Alltags.
Die Tikon-Zeit ging irgendwann zu Ende. Wir wurden älter, begannen zu arbeiten, entwickelten andere Interessen und hatten nicht mehr denselben Eifer bei den verschiedenen Spielen. Habakuk knüpfte mit einer weiteren Kampagne - der Sinsi-Saga - an vergangene Erfolge an; ich konnte dem jedoch nicht mehr folgen. Zwar war er auch bald im Internet unterwegs, aber ich hatte den Eindruck, dass er seine herausragende Stellung in den Weiten des Webs verloren hat. Man konnte nun einfach eigene Spiele organisieren, ohne von ihm die Einladungen verteilen zu lassen.
Ich glaube Habakuk wurde in den letzten Jahren einsam. Wir hatten weiterhin Kontakt mit ihm, aber es fiel vielen von uns schwer, uns auf seine Welt einzulassen und uns seinem Tempo anzupassen. Zurück blieb ein schlechtes Gewissen, einen guten Freund zu vernachlässigen. Habakuk füllte die Zeit mit einer Begeisterung für die Brienzer Rothorn-Bahn. Ich habe nie ganz verstanden, was ihm diese Bahn genau bedeutete. Aber sie war ihm unendlich wertvoll und er besuchte sie nun mehrmals im Jahr, freundete sich mit den Lokomotivführern und Maschinisten an und füllte ein reiches Photoalbum mit neuen Erlebnissen. Er plante, mit unserem Sohn Pasquale im Sommer mit der Bahn hochzufahren, aber dazu wird es nun nicht mehr kommen.
Hans-Ueli Bruhin verstarb am 11. März 2020 im Kantonsspital Münsterlingen an verschiedenen Komplikationen einer langwierigen, schweren Lungenentzündung.
Wir trauern mit seiner Familie und erinnern uns gerne an einen grossartigen Menschen. Ein ganz besonderes Kapitel in der Chronik des Liverollenspiels wird für immer seinen Namen tragen. Bilshifa!
Christian Folini in Absprache mit Arnold Bucher
Liebe Tikonier, liebe Rollenspielfreunde von Habakuk Ich moechte Euch ausrichten, dass sein Bruder Markus und seine Schwaegerin Elke/Delfi sehr beruehrt sind von der grossen Anteilnahme und von den vielen persoenlichen Texten, Worten und Erinnerungen. Die Beerdigung wird im allerengsten Familien- und Freundeskreise stattfinden. Markus ist sich aber bewusst, dass es viele gibt, die nicht nur von Ferne Abschied nehmen moechten. Es wird deshalb im Sommer ein Abschiedsfest geben. Wer darueber informiert werden moechte, soll sich bitte auf der Tikonlist eintragen (siehe oben). Ausserdem baten mich Markus und Delfi auszurichten, dass sie Facebookanfragen nur von Menschen annehmen moechten, die sie persoenlich kennen. Bitte also nicht persoenlich nehmen, falls sie Euch nicht annehmen. Die vielen persoenlichen Geschichten, Worte, Episoden, die ich gelesen habe gestern und heute, haben auch mich sehr bewegt und tausend Erinnerungen hochgeholt. Habakuk war nicht nur einer der Urvaeter des Live-Rollenspiels, sondern auch ein ganz wichtiger Mentor fuer so viele (weit ueber Rollenspielerisches hinaus) und hat so viele tolle Menschen fuer's Leben zusammengebracht. Bilshifa! Arnold aka AHAB aka ErzMagus Perefor Ziut aka Scheich Topasallior aka Gumbo Schmalhirn aka Harrass ben Krondor aka Trommler Rasa aka Waidelan Astericus aka Aimol ben Wak-Wak aka Schreiber Bottomasallior